Diesem Thema widmeten sich die ISS-Forscher Eldad Davidov und Daniel Seddig zusammen mit einem Team internationaler Forscher*innen. Da der Begriff „Werte“ in öffentlichen und politischen Diskursen heute in vielen verschiedenen Kontexten gebraucht wird, war es zunächst einmal wichtig zu definieren was mit Werten überhaupt gemeint ist. In der Theorie grundlegender menschlicher Werte (Theory of Basic Human Values) von Shalom H. Schwartz werden Werte als erstrebenswerte Ziele, die als Leitprinzipien im Leben einer Person oder einer sozialen Gruppe dienen, definiert. Diese Werte werden prinzipiell von Menschen auf der ganzen Welt geteilt. Allerdings unterscheiden sich Menschen hinsichtlich der Prioritäten, die sie einzelnen Werten beimessen. Einer groben Einteilung zufolge können vier übergeordnete Wertetypen unterschieden werden, wobei sich jeweils zwei Wertetypen an gegenüberliegenden Enden einer Dimension befinden: Selbstüberwindung (Universalismus, Humanismus) versus Selbststärkung (Leistung, Macht) und Bewahrung des Bestehenden (Konformität, Tradition, Sicherheit) versus Offenheit für Wandel (Selbstbestimmung, Stimulation, Hedonismus).
In ihrer Untersuchung ging es den Forschenden nun darum die Zusammenhänge der Werte Konformität/Tradition und Universalismus mit Bedrohungswahrnehmungen und Einstellungen zur Einwanderung zu untersuchen und zu vergleichen. Des Weiteren wurde untersucht ob der kulturelle Kontext, in dem sich Individuen bewegen, einen Einfluss auf die Beurteilung von Einwanderung hat. Die Daten hierfür stammen aus dem European Social Survey, einer europäischen Vergleichsstudie, die Meinungen zu sozialen und politischen Themen erfragt. Für die Untersuchung konnten Daten von über 35000 Befragten (15 Jahre und älter) aus 19 Europäischen Ländern aus den Jahren 2014 und 2015 genutzt werden.
Im Ergebnis zeigte sich, dass Menschen, die eher universalistische Werte vertreten eine geringere Bedrohung durch Einwanderung und positivere Einstellungen zu Einwanderung ausdrücken. Hingegen weisen Menschen, die eher Konformität und Tradition priorisieren das umgekehrte Muster auf. Die wahrgenommene Bedrohung steht dabei „zwischen“ Werten und Einstellungen, das heißt Werte bewirken nicht direkt oder zwangsläufig eine bestimmte Einstellung. Zunächst einmal bestimmen die Werte ob Menschen die kulturelle Homogenität ihres Landes durch Einwanderung bedroht sehen oder nicht. Durch diese Bedrohungswahrnehmung entwickelt sich dann eine Einstellung zur Einwanderung. Dieses Muster war in allen Länder in ähnlicher Weise auffindbar.
Zudem zeigte sich, dass der kulturelle Kontext die Beurteilung von Einwanderung verändert. Demnach ist die Bedeutung individueller Werte für die Beurteilung von Einwanderung insbesondere in autonomen Gesellschaften ausgeprägt. In solchen Gesellschaften folgen die Menschen eher ihren eigenen Motivationen und Weltanschauungen. In weniger autonomen Gesellschaften, in denen die Menschen tief in das Kollektiv der Gesellschaft eingebettet sind, sind individuelle Werte weniger dominant.