Seit der Jahrtausendwende wurden über 2.400 Genossenschaften neu gegründet, so dass heute fast 8.000 Unternehmen in der Rechtsform der Genossenschaften in Deutschland existieren. Trotzdem hat sich die Gesamtzahl der Genossenschaften seit 1970 nahezu halbiert, während sich gleichzeitig die Anzahl der Mitgliedschaften fast verdoppelt hat. Dieser Gesamtrückgang der Unternehmensanzahl trotz der vielen Neugründungen ist keineswegs Insolvenzen geschuldet – im Gegenteil gelten die Genossenschaften zu Recht als besonders insolvenzsicher. Insbesondere Fusionen im kreditgenossenschaftlichen Bereich haben vielfach zu vergleichsweise großen genossenschaftlichen Unternehmen geführt. Trotzdem gilt dort wie auch im gesamten Genossenschaftssektor weiterhin die regionale Verankerung und Nähe zu Mitgliedern und Kunden als Teil der Marke.
Die Neugründungen seit der Jahrtausendwende stärken den Genossenschaftssektor. Interessanterweise wählten weitaus die meisten Genossenschaftsgründer diese Rechtsform, um neue Geschäftsmodelle und -bereiche zu besetzen. Die traditionell mit Genossenschaften besetzten Wirtschaftszweige wie die Kreditwirtschaft, die Landwirtschaft, der Handel, das Handwerk oder das Wohnen spielen bei den Neugründungen eher eine untergeordnete Rolle. Die meisten Neugründungen sind bei den Energiegenossenschaften zu finden, aber auch Ärzte- und Sozialgenossenschaften sowie weitere gemeinwesenorientierte Genossenschaften stoßen in neue genossenschaftliche Geschäftsgebiete vor.
Dieser für Genossenschaften so bezeichnete Neugründungsboom war 2014 Anlass für eine Studie zu den Potenzialen und Hemmnissen der unternehmerischen Tätigkeit in der Rechtsform der Genossenschaft, die von den ISS-Forschern Johannes Blome Drees, Philipp Degens und Clemens Schimmele zusammen mit Mitarbeitern der Unternehmensberatung Kienbaum durchgeführt wurde. Zu prüfen war u.a., ob die 2006 durchgeführte Genossenschaftsrechtsnovelle, die viele Gründungserleichterungen für kleine Initiativen vorsieht, tatsächlich zur Gründung neuer Genossenschaften führte. Die Studie konnte belegen, dass die neuen Rechtsvorschriften nicht für alle kooperativ angelegten Projekte einen geeigneten Rechtsrahmen vorgeben. Im Ergebnis wurde das Genossenschaftsgesetz weiter novelliert.
Kennzeichen vieler Neugründungen ist häufig ein sehr hohes zivilgesellschaftliches Engagement der Mitglieder, um die Ziele ihres gemeinschaftlichen Projektes zu erreichen. Geschätzt wird an Genossenschaften ihre bedarfswirtschaftliche Ausrichtung – es wird nicht für einen anonymen Markt produziert, sondern orientiert am Bedarf der Mitglieder – sowie die personenbezogene Demokratie. Hinzu kommt die im Genossenschaftsmitglied angelegte Identität der Eigentümer mit den Kunden, Lieferanten oder im Fall der Produktivgenossenschaften mit den Arbeitnehmern. Damit entsprechen Genossenschaften in einem zentralen Aspekt dem, was heute unter Begriffen wie Prosuming, kollaborativer Konsum oder Ko-Produktion den Wandel der Verbraucherrolle kennzeichnet. Bewährte Beispiele für diese Phänomene findet man in der Tradition der Konsum- oder Erzeuger-Verbraucher-Genossenschaften, neu hinzu kommen Formen wie die Solidarische Landwirtschaft oder besondere Wohnprojekte, zum Teil mit Möglichkeiten des gemeinsamen Arbeitens. Digitale Plattformen in genossenschaftlicher Hand könnten dafür sorgen, dass die Erträge der Plattformbetreiber den Nutzern zugutekommen. Anders als bei den sich in den letzten Jahren etablierenden großen Plattformen des Teilen (Uber oder Airbnb) verbleiben bei genossenschaftlichen Unternehmen die Erträge im genossenschaftlichen Unternehmen oder werden an die Mitglieder und damit an die Nutzer ausgeschüttet.