Alternde Gesellschaften leiden unter Fachkräftemangel und steigenden Rentenkosten, was durch die Anhebung des Rentenalters zwar teilweise kompensiert wird, aber zugleich auch Ungleichheiten verstärkt, insbesondere zwischen Frauen und Männern. Die Vereinbarkeit von unbezahlter Care-Arbeit (z.B. Kindererziehung) mit Berufstätigkeit ist oft nur schwer möglich, weswegen Frauen eher ihre Karriere unterbrechen. Der Rückzug vom Arbeitsmarkt aufgrund solcher familiären Verpflichtungen (z.B. durch Familienereignisse wie die Geburt des Kindes) kann jedoch dazu führen, dass zum Beispiel im Verlauf des Lebens die berufliche Expertise allmählich abnimmt. Dies kann Frauen im späteren Leben vor zusätzlichen Herausforderungen stellen, wenn sie eine Rückkehr in den Arbeitsmarkt in Erwägung ziehen. In Europa fehlen bislang effektive Strategien zur Abmilderung dieser lebenslangen Benachteiligung von Frauen. Sozialpolitik und kulturelle Kontexte spielen dabei jedoch eine entscheidende Rolle.
In einer mit einem Best Paper Award der Deutschen Gesellschaft für Gerontologie und Geriatrie (DGGG) ausgezeichneten Studie, untersuchten ISS-Forscherin Lea Ellwardt, Wiebke Schmitz und Laura Naegele vom Bundesinstitut für Berufsbildung und Frerich Frerichs vom Institut für Gerontologie der Universität Vechta den späten Erwerbsverlauf mit Hilfe von Sequenzanalysen im Alter von 50 bis 65 Jahren und wie dieser in Abhängigkeit vom Wohnsitzland durch frühere Familienereignisse erklärt werden kann. Dazu wurden retrospektiven Surveydaten des “Survey of Health, Ageing and Retirement in Europe” (SHARELIFE) mit insgesamt 10,913 Frauen und 10,614 Männer aus 21 Ländern in Europa verwendet.
Die Ergebnisse zeigen, dass Familienarbeit im früheren Lebensverlauf Frauen im Gegensatz zu Männern eher vom späteren Erwerbsleben fernhält. Männer hingegen sind unbeeinflusst von solch früheren Familienereignissen und eher in Vollzeit erwerbstätig. Frauen können also frühere Benachteiligungen nicht einfach abschütteln, sondern diese wirken sich noch bis in den späten Erwerbsverlauf aus. Dieser Zusammenhang ist jedoch abhängig vom Wohnort: Die Teilnahme von Frauen am Arbeitsmarkt ist insbesondere in solchen Ländern höher, in der sozialpolitisch als auch kulturell die Förderung von Geschlechtergleichstellung fortgeschrittener ist (z.B. öffentliche Kinderbetreuung, traditionelle Geschlechterrollen). In den nordischen Ländern (z.B. Schweden) erleben Frauen tendenziell weniger Ungleichheit, während in westlichen (z.B. Deutschland) und südlichen (z.B. Griechenland) Ländern stärkere Benachteiligungen für Frauen bestehen.