Gänzlich neu ist der Ansatz allerdings nicht. Bereits im 19. Jahrhundert konnte Ernst Engel (1857) einen Zusammenhang zwischen der Höhe des Einkommens und der Ausgabenverteilung auf verschiedene Konsumgüter nachweisen: Je höher der Ausgabenanteil für Nahrungsmittel, umso ärmer ist der Haushalt. Hermann Schwabe (1868) konnte einen ähnlichen Zusammenhang für die Wohnungsausgaben feststellen. Im Bereich der Sozialstrukturanalyse wurde bereits in frühen Jahren diskutiert, inwiefern der Konsum gegenüber der Erwerbsarbeit eine eigenständige soziale Differenzierungsfunktion erfüllt. Pierre Bourdieu (1982) spricht beispielsweise von der Konsum- und Freizeitsphäre als entscheidendem Faktor für die Reproduktion von Klassenstrukturen. Während die Art der Einkommensverwendung vor allem im Zusammenhang mit verschiedenen Untersuchungen rund um das Thema Lebensstil immer wieder Verwendung findet, wurde der Ansatz, Konsumausgaben als Wohlstandsindikator zu verwenden, zumindest für Deutschland nicht weiterverfolgt. Im internationalen Kontext finden sich einige empirische Studien, die die Konsumausgaben zur Messung von Armut und Ungleichheit verwenden und darlegen, warum Konsumausgaben im Vergleich zum Einkommen den adäquateren Wohlstandsindikator darstellen. Dass dieses Thema in Deutschland so wenig Beachtung findet, liegt zu einem Großteil darin begründet, dass es lange an aussagekräftigen und repräsentativen Datengrundlagen mangelte. Durch die Bereitstellung der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe, einer detaillierten amtlichen Statistik zu den Einnahmen und Ausgaben von über 60.000 Haushalten in Deutschland, hat sich die Dateninfrastruktur für die Wissenschaft jedoch deutlich verbessert.
Auf dieser Basis untersuchte Katharina Hörstermann in einem DFG-Forschungsprojekt zusammen mit Prof. Dr. Hans-Jürgen Andreß Unterschiede zwischen einer einkommens- und konsumbasierten Armuts- und Ungleichheitsanalyse. Die Ergebnisse ihrer Studie stimmen weitestgehend mit denen aus der internationalen Forschung überein: Sowohl die konsumbasierten Armuts- als auch Ungleichheitsmaße liegen unter dem Niveau der einkommensbasierten. Auch decken sich die Populationen der Einkommens- und Konsumarmen nur teilweise, wobei die Übereinstimmung im Laufe der Zeit zugenommen hat. Die Konsumarmen unterscheiden sich von den Einkommensarmen insbesondere hinsichtlich ihres Vermögens mit einer hohen Eigentümer- und Schuldnerquote.