Zu Beginn der ersten Corona-Welle im Frühjahr wurden die Schulen in fast allen Ländern geschlossen und im April waren bis zu 90% der Schüler*innen weltweit betroffen. Schulschließungen beeinträchtigen nicht nur Kinder, sondern auch Eltern. Wenn insbesondere kleinere Kinder nicht in der Schule betreut werden, können Eltern nur eingeschränkt oder gar nicht arbeiten. In der Mehrzahl der Fälle übernehmen die Mütter den Hauptteil der zusätzlichen Betreuungsaufgaben. Neben den Kindern selbst sind erwerbstätige Mütter also besonders von Schulschließungen betroffen.
In Ländern, in denen mehr Menschen es für ideal halten, wenn Mütter wenig oder gar nicht arbeiten und sich vor allem um die Kinder kümmern, werden längere Schulschließungen und die zusätzlichen Betreuungsaufgaben für Eltern, und insbesondere Mütter, vermutlich als weniger problematisch empfunden. Darauf aufbauend fragen sich ISS-Forscher Ansgar Hudde und seine Kollegin Natalie Nitsche vom Max-Planck-Institut für demografische Forschung: Hatte der gesellschaftliche Wert von Müttererwerbstätigkeit in einem Land einen Einfluss darauf, wie schnell die Schulen nach dem ersten Lockdown wieder geöffnet wurden? Hierzu analysierten sie Daten aus 35 Ländern. Das Ergebnis der Studie zeigt: Bei ähnlichen SARS-Cov-19-Infektionsraten und einem ähnlichen Gesamtniveau der Einschränkung des gesellschaftlichen Lebens, öffnen die Länder, die eine positivere Einstellung zu Müttererwerbstätigkeit haben, die Schulen schneller. Wenn man die Länder anhand der Einstellungen in zwei Gruppen teilt, dann zeigt sich ein erheblicher Unterschied: In den Ländern mit den positiveren Einstellungen zu arbeitenden Müttern kamen die Kinder typischerweise etwa vier Wochen früher zurück ins Klassenzimmer. Das Forscherteam führte zahlreiche Zusatzanalysen und Modellerweiterungen durch, die zeigen, dass die Ergebnisse robust sind.
Die SARS-Cov-19-Fallzahlen sind an vielen Orten wieder sehr hoch, und immer mehr Länder, etwa Österreich, Italien oder Polen, reagieren erneut mit Schulschließungen. Schulschließungen mögen eine verlockende Maßnahme sein – schnell umsetzbar und ohne sofortige ökonomische Kosten – aber die längerfristigen Folgen für Schüler*innen, Familien und Mütter sind weitreichend. Ein besseres Verständnis von den Faktoren, die zu bestimmten politischen Maßnahmen führen, kann zu einem gesellschaftlichen Diskurs beitragen, in dem es darum geht, welche Bereiche – Wirtschaft, Freizeit, Kultur und Bildung – bei Einschränkungen und Lockerungen des gesellschaftlichen Lebens welche Priorität haben sollen.