Trotz steigender Studierendenzahlen hängt in Deutschland die Wahrscheinlichkeit junger Menschen, ein Studium aufzunehmen, deutlich von ihrer sozialen Herkunft ab. Selbst bei sehr guten Leistungen in der gymnasialen Oberstufe nehmen Schüler:innen, deren Eltern nicht studiert haben, seltener ein Studium auf als Schüler:innen mit akademischem Hintergrund. Um diese Bildungsungleichheit abzubauen, sind in Deutschland in den vergangenen Jahren vermehrt individuelle Beratungsprogramme eingesetzt worden.
In einer von den ISS-Forscherinnen Marita Jacob, Irena Pietrzyk und Juliana Schneider gemeinsam mit Kolleg:innen des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung durchgeführten Studie wurde ein solches Beratungsprogramm untersucht. Es handelt sich dabei um eine intensive und individuelle Beratung von Schüler:innen der Oberstufe in Schulen in NRW, das von dem Forschungsteam auf seine Wirkung hin untersucht wurde. Eine Besonderheit der Studie liegt im experimentell-längsschnittlichen Design, das es ermöglicht die kausale Wirkung des Programms auf die Studienentscheidung und den Studienerfolg zu erfassen.
Zwar zeigte sich ein halbes Jahr nach dem Abitur noch keine messbare Wirkung des Programms, dafür sind die Ergebnisse eineinhalb Jahre nach dem Schulabschluss umso aufschlussreicher. Jugendliche ohne akademischen Hintergrund, die am Beratungsprogramm teilgenommen haben, nehmen zu diesem Zeitpunkt zu acht Prozentpunkten häufiger ein Studium auf als die Vergleichsgruppe ohne Programmteilnahme. Dieser Befund trifft insbesondere für Schüler:innen mit guten schulischen Leistungen zu. Für Jugendliche mit akademischem Hintergrund zeigt sich ein entgegengesetzter Effekt: Für diese Gruppe führt die Programmteilnahme häufiger dazu eine Berufsausbildung aufzunehmen, insbesondere wenn die Jugendlichen eher niedrige schulische Leistungen erzielten. Entsprechend gleichen sich durch das Programm die Studierquoten zwischen Abiturient:innen mit und ohne akademischen Hintergrund an.
Die Ergebnisse zeigen, dass individuelle Beratungen Ungleichheiten in der Studienaufnahme verringern können, weil Schüler:innen einen Bildungsweg einschlagen, der ihren akademischen Potentialen entspricht. Zusätzlich offenbart die Studie, dass solche intensiven Beratungen erst in einer langfristigen Perspektiven ihre Wirkung entfalten – weshalb sie sich nur mit einer entsprechend langfristig angelegten wissenschaftlichen Begleitung erkennen lassen.
(Mehr Informationen zum Projekt gibt’s im Videointerview mit Prof. Jacob!)